OTZ vom 01.07.2020

OTZ vom 01.07.2020

Händler in Gera “ 3% locken nicht“

Um den Konsum zu stärken und die Konjunktur nach der Corona-Pandemie anzukurbeln, gilt seit dem 1. Juli 2020 ein geänderter Mehrwertsteuersatz. Regulär fällt dieser bis Jahresende von 19 auf 16 Prozent, im ermäßigten Sektor von sieben auf fünf. Die Bundesregierung erhofft sich so mehr Geld zum Ausgeben beim Bürger sowie zusätzliche Einkäufe und Umsätze bei den Geschäften, die überall seit Monaten rote Rekordzahlen schreiben.

Beschlossen wurde die vorübergehende Senkung der Umsatzsteuer am 29. Juni 2020. Der Bundesrat stimmte noch am selben Tag zu. Viel zu kurzfristig, sagt Corina Trampenau, Inhaberin vom Modegeschäft Hänsel & Gretel in der Humboldstraße. „Für uns kleine Händler ist es beinahe unmöglich, innerhalb von so kurzer Zeit alles neu auszupreisen und die Kassen umzustellen. Wie soll das gehen bei Hunderten Kleidungsstücken“, gibt sie zu bedenken.

Weniger Nachmittagsbummler

Gemeinsam mit ihren Händlerkollegen aus Stoffladen und Goldschmiede wurde überlegt, wie man diese Steuersenkung bestmöglich umsetzt. „Wir werden ein Schild an die Tür hängen, was auf den Rabatt aufmerksam macht. Zudem muss ein Experte innerhalb weniger Stunden das Kassensystem in vielen Geschäften umstellen. Da ist Chaos vorprogrammiert“, sagt Trampenau. Der Zeitpunkt sei zudem für Modegeschäfte ungünstig, da aktuell die Sommerrabatte auf viele Waren laufen. Ob diese drei Prozent Nachlass etwas bringen? „Ich glaube nicht, dass es im Kleinpreissegment die Menschen zu mehr Käufen animieren wird. Die Zahl der Nachmittagsbummler ist seit der Coronakrise deutlich gesunken. Und Stammkunden bekommen bei uns sowieso ihren Rabatt. Ohne sie wären wir nicht durch diese schwere Zeit gekommen“, sagt Corina Trampenau.

Sie findet vielerorts Zustimmung, beispielsweise von Iris Geyer, Inhaberin eines Wäschefachgeschäftes in der Rudolf-Diener-Straße. „Was sie sich da ausgedacht haben, finde ich total bekloppt“, so ihre klare Meinung. Sie habe bisher mit keinem Kunden oder Bekannten gesprochen, der diese Aktion befürwortet. „Drei Prozent locken nicht. Der Aufwand für die Händler ist sehr groß und das Land verschuldet sich dadurch noch mehr“, sagt die Verkäuferin und ergänzt: „Dies wird Läden, die um ihre Existenz kämpfen, auch nicht retten können.“ Die Kasse umstellen werde Iris Geyer nicht, sondern vom Bon des Kunden beim Bezahlen die drei Prozent abziehen und am Monatsende eine entsprechende Abrechnung für das Finanzamt erstellen.

Zu den Stammkunden im Geschäft Wäscheleine gehören Kathrin und Henrik Niedner. „Ich finde das Schwachsinn, zumal es nach dem halben Jahr Steuersenkung direkt zu einer Preiserhöhung kommen kann. Dies wäre dann richtiger Dummfang, dem wir uns aussetzen“, sagt Henrik Niedner. Ein Steuersystem wie in den USA wäre seiner Meinung nach eine gute Alternative, doch diese kurzfristige Anpassung des Satzes würde keine erhofften Effekte erzielen.

Hinweisflut schreckt Kunden ab

Waren des täglichen Bedarfs fallen unter die ermäßigte Umsatzsteuer, die nochmals um zwei Prozentpunkte sinkt. So auch bei den Lebensmitteln in der Fleischerei Franke im Ortsteil Langenberg.

Mitinhaberin Gitte Bajorat kann den Nutzen allerdings nicht erkennen. „Wir nehmen es hin, aber gut durchdacht ist das nicht. Im Endeffekt kommt auf die Händler ein hoher Aufwand zu und die Kunden haben nachhaltig nichts davon, wenn vor oder nach der Senkung die Preise der Produkte erhöht werden. Dies ist mir in einigen Geschäften bereits aufgefallen“, sagt sie.

Es gebe auf beiden Seiten nur Verlierer. Der Rabatt wird in ihrer Fleischerei direkt vom Kaufpreis abgezogen, eine gesonderte Ausschilderung macht sie nicht. „Durch die Maßnahmen der letzten Wochen hängen schon genügend Zettel mit Hinweisen an den Scheiben. Da wird der Kunde eher verschreckt, statt zum Mehrkauf animiert.“

Was bei der Anschaffung eines Porsches Relevanz hat, fällt bei einer Packung Aspirin kaum ins Gewicht – an diesem praktischen Beispiel erläutert Sandra Diezel, Inhaberin der Linden-Apotheke, ihren Standpunkt zur Steuersenkung.

Das Ansinnen, Unternehmern und der Kaufkraft zu helfen, findet sie gut. „Doch mit diesem Ansatz wird man wohl nicht den erhofften Effekt erzielen“, sagt die Apothekerin. Auch bei ihr erhält der Kunde den Gesamtnachlass beim Bezahlen. Wem mit dieser kurzzeitigen Senkung geholfen ist, fragt sich Sandra Diezel dennoch. Mit ihr auch viele andere Händler und Geschäftsinhaber, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. Die Verunsicherung ist weiter groß, im Coronajahr 2020. Meine Meinung

Quelle: OTZ https://www.otz.de/regionen/gera/haendler-in-gera-drei-prozent-locken-nicht-id229419070.html

 

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